
Unternehmertum und Anthroposophie - 100 Jahre nach Steiners Tod
Eine große Verbreitung fanden die praktischen Ideen aus der Anthroposophie ab den 1970er-Jahren. In diese Zeit fällt auch die Gründung der GLS Bank, der Anbauverbände biologisch-dynamischer Lebensmittel sowie von dm und Alnatura. Zeitgleich begann ein regelrechter Boom der Waldorfpädagogik, der sich weltweit ausbreitete. In dieser Gründungswelle wirkte (oft noch bis in die 1990er-2000er-Jahre hinein) eine Pionier-Ausstrahlung. Heute dagegen sind viele der ursprünglich „anthroposophischen" Firmen zumindest in der Eigendarstellung, wenn's hoch kommt, gerade noch „von Steiner inspiriert", werden allerdings von außen, besonders wenn mediale Kritik um sich greift, eindeutig der anthroposophischen Bewegung zugerechnet.
Unklar bleibt, was ein „anthroposophisches" Unternehmen eigentlich ist. Es kann ja keine verpflichtende Steiner-Lektüre im Unternehmen verordnet werden. Häufig sind es Menschen in Führungspositionen, denen die individuelle Arbeit mit der Anthroposophie ein Anliegen ist; dafür suchen sie institutionelle Formen, um daran im Unternehmenskontext zu arbeiten. Durch Schulungen, Vorträge oder künstlerische Interventionen wird so die Belegschaft zur Inspiration eingeladen. Das hat Auswirkungen auf Produkte und Unternehmensprozesse – auch dann, wenn man sich gar nicht so explizit die Anthroposophie auf die Fahnen schreibt. In diesem Sinne lebt in vielen Kontexten auch heute die Anthroposophie. Allerdings wird das nicht immer nach außen kommuniziert und macht es damit allen Organisationen aus der Anthroposophie zunehmend schwer, sich damit in der Öffentlichkeit zu zeigen. Oder gibt es sogar einen Werteverfall durch die kritikinduzierte schleichende Abkehr von der Anthroposophie? Dass man nicht alles unterschreiben muss, was von Steiner stammt, und trotzdem einen starken, nach außen sichtbaren Bezug zur Anthroposophie zeigt – das wäre sicherlich ein Ziel, das allen hilft.
Benjamin Brockhaus und Börries Hornemann