Die Blaue Zone - Alt werden und so...
Die blaue Zone. Ein neuer Begriff? Ist das ein Wort für eine bestimmte, neuartige Park-Zone, oder eine Umschreibung für Unternehmen, die nur Wasserstoff nutzen oder sind es Gegenden, in denen abends viel Alkohol getrunken wird?
Weit gefehlt. Die blauen Zonen sind Hotspots der Langlebigkeit. Menschen leben dort durchschnittlich länger als an anderen Orten. Und die Forscher:innen haben nach dieser Entdeckung einfach die Regionen auf einer Landkarte blau markiert. Ganz simpel also. Die fünf Regionen mit einer besonders hohen Lebenserwartung, die der Wissenschaftler Dan Buettner erforscht hat, sind:
- Sardinien in Italien und da besonders das Bergdorf Seulo, das zwischen 1996 bis 2016 den Rekord von 20 Hundertjährigen innehielt.
- Die Inseln Okinawa in Japan
- Loma Linda in Kalifornien
- Die Nicoya-Halbinsel in Costa Rica und
- Ikaria in Griechenland. Hier gab es in einer Studie im Jahr 2009 den höchsten Prozentsatz von 90-Jährigen auf der Welt – fast jeder Dritte schafft es in die Neunzigerjahre. Außerdem haben die Einwohner:innen etwa 20 Prozent niedrigere Krebsraten, 50 Prozent niedrigere Raten von Herzerkrankungen und fast keine Demenz.
Natürlich liegt da die Frage nahe, was das Besondere und das Verbindende an diesen Orten ist. Dieser Frage sind die Forscher:innen nachgegangen und haben Merkmale eines Lebensstils identifiziert, der an allen Orten ähnlich war:
- Familie und Angehörige zuerst – wichtiger als andere Anliegen
- Nicht rauchen, moderater Konsum von Wein
- Größtenteils pflanzenbasierte Ernährung
- Häufiger Konsum von Hülsenfrüchte
- Ständige moderate körperliche Aktivität
- Soziales Engagement in jedem Alter, das auch einen Lebenssinn vermittelt
- Integration in ihre Gemeinschaften und Pflege von Freundschaften
Es finden sich also Merkmale, die nicht wirklich überraschen, die aber wohl in ihrer Gesamtheit einen erheblichen Einfluss auf ein gutes Leben im Alter haben. Aber Stopp: Heißt Langlebigkeit auch Zufriedenheit?
Zwei der Projektinitiatorinnen:
Dörte Redmann und Susanne Müller-Jantsch, mit Aryani Kriegenburg-Willems
Diese Frage haben sich auch Susanne Müller-Jantsch, Dörte Redmann und Hanne Bangert aus Hannover gestellt. Alle drei sind um die 60 und im Kulturbereich beruflich und privat sehr engagiert. Bei einem Party-Küchengespräch vor sieben Jahren haben sich die Initiatorinnen gefragt: Wie wollen wir eigentlich mal alt werden und dann leben? Bei ihrer Suche nach Konzepten sind sie auf die Blaue Zone und die Glücksforschung gestoßen und
haben daraus ein Kultur- und Sommercamp für Menschen ab 55 Jahren entwickelt.
„Das Alter ist doch ein Gemansche", meint Dörte Redmann im Gespräch, „alles zwischen 55 und 95 findet sich da, dabei sind das doch drei Generationen mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen und Vorstellungen, wie sie gut leben wollen."
Die Drei haben ein Projekt auf die Beine gestellt, das aktivieren soll. Der Anspruch: Die Menschen, die dort eine Woche mitten in Hannover hinterm Hauptbahnhof zusammen kommen, mögen sich vernetzen, solidarisch miteinander umgehen, aktiv werden, und ein kostengünstiges und niedrigschwelliges Angebot bekommen. Viele, so beschreiben es die Initiatorinnen, haben nur kleine Renten, können nicht am großen, aber oft teuren Kulturprogramm der Landeshauptstadt partizipieren und fallen oftmals mit dem Renteneintritt erst einmal in ein Loch. Susanne Müller-Jantsch beschreibt es so: „Viele haben soziale Kontakte vor allem über ihren Beruf gehabt und merken das erst, wenn es soweit ist und sie in Rente sind. Da sind die Tage plötzlich lang und einsam. Diese Menschen wollen wir erreichen."
Die Blaue Zone im August 2022
Kulturcamp für Menschen ab 55
Dazu haben sie ein breites Programm auf die Beine gestellt. Zahlreiche Workshops und Veranstaltungen und der „Markt des weisen Wissens" bieten vielfältige Informationen zu allen Themen des Alterns: selbst gestaltetes Wohnen, Großeltern gegen rechts, Finanzberatung, Gesundheit, Bewegung. Alles orientiert an den Merkmalen der blauen Zone. Am Freitag- und Samstagabend gibt es „Wildes Tanzen" draußen und kostenlos auf dem schönen Platz.
Dieser Platz alleine ist besonders: direkt hinterm Bahnhof, neben einem sehr modernen und sehr hohen Hotel, im Hintergrund der Pavillon, ein Kulturzentrum, in Sichtweite Obdachlose. Extra für diese Woche hat eine andere Gruppe, das PLATZprojekt, ein temporäres Wohnzimmer und Altersheim dort aufgebaut, das als Workshop- und Veranstaltungsraum dient. Die Baustelle für das Camp wurde partizipativ angelegt und die Rentner:innen, die sich für das Camp angemeldet haben, eingeladen, direkt mit Hand anzulegen. Der neu geschaffene Raum wirkt offen und lädt ein – auch spontane Besucher:innen, die nichts von der Blauen Zone wussten.
Die Blaue Zone: Antonia Jacobsen mit einer der Workshopgruppen
Verstetigung der Impulse
Aber es bleibt nicht nur bei der einen Woche, sondern die Verstetigung ist wichtig. Regelmäßig finden zum Beispiel ein „Blaues Dinner" statt und aus dem ersten Camp 2017 sind feste Austausch- und Aktionsgruppen entstanden zu Themen wie Wohnen, Kunst und Literatur. „Wir müssen Banden bilden und uns austauschen, nicht nur über Zipperlein, sondern über das, was uns seelisch bewegt, was wir in dieser Gesellschaft verändern wollen", fasst Dörte Redmann vom Verein SPOKUSA e.V. ihr Anliegen zusammen. Und es ist vor allem nicht ein Programm für gut situierte und privilegierte Menschen, sondern spricht auch Menschen mit Handicap oder mit Migrationshintergrund an. Klingt nach einem hervorragenden Integrationsprojekt mit einer besonderen Zielgruppe. Gleichzeitig aber war es für das Projekt-team schwierig, an Fördergelder zu kommen, da das Projekt einen Wiederholungscharakter hat, Förderer es aber immer innovativ und neu wollen. Hier ist mehr Zutun der Politik nötig, gerade vor dem Hintergrund einer zunehmend älteren Bevölkerung, die auf mehr Selbsthilfe, Aktivierung und solidarische Vernetzung angewiesen ist. Dazu wünscht sich Müller-Jantsch: „Wir wollen die sozialen und gesellschaftlichen Blasen, in denen wir uns alle bewegen, auflösen, damit die Menschen aus den verschiedenen Gruppen in einen produktiven Austausch kommen."
Kunst als Mittler
Die Frauen sprudeln nur so vor Ideen und möchten andere Kommunen dabei beraten, wie sie die Blaue Zone für ihre Stadt adaptieren können. Und am liebsten würden sie die Idee auch im Ausland umsetzen; dort vor Ort mit den jeweiligen Künstlerinnen und Künstlern, denn „Kunst ist immer ein Mittler." Fragt man die Organisatorinnen nach ihren Vorstellungen für ihr eigenes Leben im Alter, sind sie sehr klar: Lieber früher und mit Kraft in Rente gehen, Freundschaften pflegen, Neugierde behalten, in Mehr-Generationenhäusern wohnen und am liebsten in Hannover einen coolen, unprätentiösen Altentreff aufbauen. Und die Hannoverschen Kassen sollten beim nächsten Blaue-Zone-Sommercamp unbedingt dabei sein.
Silke Stremlau